dialog No. 4 „Dass mir nicht verziehen wird, muss ich aushalten.“ Denn zum allerersten Mal hatte er Kontakt mit den Menschen, die er jahrelang politisch und auf der Straße bekämpft hat. Von Angesicht zu Angesicht mit dem Feind. Nur war der Feind gar nicht mehr so, wie er sich das vor- gestellt hatte. Ein ums andere Mal luden sie ihn zu sich nach Hause ein, bis er eines Tages zusagte. „Da saß ich also mit meiner Freundin in einer kleinen Wohnung, in der sie zu viert wohnten. Der Tisch bog sich, so viel Essen hatten sie aufgetan. Und sie waren so freundlich. Begrüßten uns noch vor der Haustür, winkten zum Abschied“, sagt Scheffler. Er weiß, dass das ein bisschen naiv klingt, aber für ihn war diese Freundlichkeit ein Augenöffner. Gleich- zeitig wurde der Kontrast zu seinem alten Leben immer größer. Tagsüber der Deutschlehrer für Syrer in der einen sächsischen Stadt. Abends der Nazi in seinem Heimatort? „Das ging nicht mehr. Ich wurde richtig depressiv. Wollte mich offenbaren. Wer ich bin, was ich denke oder dachte. Alles was ich vorher war, war ins Wanken geraten.“ Jetzt kam Exit ins Spiel. Maik Scheffler meldete sich. Er wolle sein Leben ändern, er brauche dabei aber Hilfe. Doch woher weiß die Organisation, wann es jemand ehr- lich meint oder nicht? „Der Weg mit Exit ist kein einfa- cher“, sagt Exit-Mann Fabian Wichmann. Sie treffen die Aussteigenden regelmäßig, dabei wird über die alten Welt- bilder gesprochen, über die eigene Rolle in der Szene, was man gemacht hat und warum. Die Aussteigenden sollen autobiografisch arbeiten, Tagebücher schreiben, Bilder malen und sich immer wieder mit ihren Gefühlen, auch 47 Ängsten oder auch den eigenen Eltern auseinandersetzen. „Das ist ein langer Prozess, über Monate, vielleicht sogar Jahre. Immer wieder wird das eigene Handeln reflektiert. Immer wieder müssen sie sich der Frage stellen, warum sie so viele Jahre ihres Lebens falschlagen. Das nimmt man nicht auf sich, wenn man es nicht ehrlich meint“, sagt Wichmann. All das kann ein schwieriger Weg für jeman- den sein, der so radikal war, dass der politische Gegner im wortwörtlichen Sinne vernichtet werden sollte. „Für uns ist ein Aussteiger jemand, der mit der Ideologie und der Szene bricht, der dann im nächsten Schritt lernt, die alten Bewertungsmuster zu überkommen, der Ideen von Feindschaft und Verschwörungsvorstellungen ablegt“, so Wichmann. Diesen Weg geht Maik Scheffler. Er erklärt öffentlich seinen Ausstieg und hat von jetzt auf gleich keinen einzigen Freund mehr, denn die rechte Szene kennt keine Aussteiger. Er trifft sich mit einem Imam. Er geht in linke Jugendclubs und hört zu, wie es ist, von Neonazis tyrannisiert und ver- prügelt zu werden. Er besucht den Friseurladen, lernt dort den kurdischen Friseur kennen. Sagt ihm, wer er war. Maik, der Neonazi. Der Friseur erwidert, dass es nichts macht, wer er war. Wichtiger sei es, wer er jetzt ist. Maik Scheffler stellt sich der Öffentlichkeit, tritt als Redner auf, geht an Schulen, auch an Polizeischulen. Er berichtet über seine Vergangenheit, weil er möchte, dass Menschen gar nicht erst auf eine extremistische Bahn gera- ten, so wie er. Er muss sich aber gefallen lassen, dass es Menschen gibt, die ihm nicht verzeihen können und die ihm sagen, dass sie wegen ihm und seinem Handeln ver- prügelt und terrorisiert wurden. Andrea Hübler arbeitet in der Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt in Leipzig. Sie kennt die vielen Hundert Geschichten der Opfer rechter Gewalt und weiß, dass viele von ihnen, auch Jahre nach der Tat, immer noch traumatisiert sind. „Die 1990er Jahre, die 2000er Jahre waren brutale Jahre, in denen es in Sachsen organisierte Hetzjagden, Tötungsdelikte und die schwersten Körperverletzungen gab, gegen linke Jugendliche, Obdachlose und Menschen mit Migrations- hintergrund. Das sind alles Jahre, in denen auch Maik Scheffler aktiv war. Es ist ja gut, dass Menschen wie er aussteigen. Aber sie sind keine Helden und müssen sich mit ihrer Schuld auseinandersetzen“, sagt Hübler. „Das mir nicht verziehen wird, muss ich aushalten“, sagt Maik Scheffler. „Das war meine Vergangenheit, meine Schuld, ich verleugne sie nicht und ich vergesse sie nicht. Deswegen bin ich ja auch diesen Weg gegangen, bin nicht leise ausgestiegen, sondern öffentlich. Aber ich bitte auch darum, dass man mir eine zweite Chance gibt.“