Verloren in der digitalen Welt

Wenn das Smartphone süchtig macht

Eine junge Frau schaut auf ihr Smartphone

Denise Schalow von der Suchtberatung der Diakonie erklärt, wann das Surfen in der digitalen Welt zur Sucht wird und was Betroffene dagegen tun können.

 

Frau Schalow, die zwischenmenschliche Berührung scheint abzunehmen, dafür halten wir jetzt permanent das Smartphone in den Händen. Ist das ein angemessener Ersatz?

Wir beobachten, dass eine ganze Generation oft Schwierigkeiten hat, das Smartphone einfach einmal abzuschalten. Das liegt auch ein Stück weit in der Konzeption dieses Angebots. Anders als beim Alkohol – an den ich nachts zum Beispiel nur erschwert herankomme, weil der Laden geschlossen hat – sprechen wir hier über ein Suchtmittel, das 24 Stunden am Tag verfügbar ist. Das führt dazu, dass die Menschen sich leicht in der digitalen Welt verlieren. In Extremfällen steht diesen Menschen dann der Avatar aus dem Videospiel plötzlich näher als die Menschen im realen Leben. Wir hatten hier Betroffene, die im Rahmen der Therapie ihren Avatar gelöscht haben. Das war oft ein richtiger Trauerprozess.

Woran liegt das?

Das hat immer auch etwas damit zu tun, wie ich mich in der Gesellschaft erlebe. Wer glaubt, nicht mithalten zu können, vermeintlich nicht attraktiv, intelligent, stark genug ist, also die klassischen Attribute unserer Gesellschaft nicht bedienen kann, kann sich in der digitalen Welt ein Ich erschaffen, das all dem gerecht wird. Plötzlich habe ich Erfolg, erlebe soziale Zuwendung und dass andere auf mich abfahren. Das stabilisiert den Selbstwert sehr. Das wieder loszulassen, ist ein extrem schwieriger Prozess. 

Das Smartphone immer griffbereit, einmal die Stunde Mails checken, abends Netflix schauen. So sieht der Alltag bei vielen Menschen aus. Sind wir denn alle mediensüchtig?

Mit der Mediensucht verhält es sich nicht anders als bei anderen Suchterkrankungen auch: Im Grunde genommen geht es darum, dass ein Mensch mit bestimmten Inhalten so viel Zeit verbringt, dass er eine Schädigung an sich selbst, dem sozialen Miteinander und seinem persönlichen Wohlbefinden erlebt und deswegen ein Leidensdruck entsteht. Welche Inhalte das sind, ist dabei letztlich nicht relevant.

Manchmal reicht es aus, gemeinsam neue Regeln zum Mediengebrauch auszuhandeln.

Wer ist besonders betroffen?

In unserer Beratung bekommen wir oft Anfragen von Minderjährigen bzw. deren Angehörigen, die sich Sorgen machen, weil ihre Kinder sehr viel Zeit in der digitalen Welt verbringen. Diesen Familien bieten wir im ersten Schritt ein sogenanntes Clearing in unseren Evangelischen Beratungsstellen an. Dabei schauen wir, welche Bedürfnisse Kinder und Eltern haben und ob es ausreicht, wenn diese zum Beispiel gemeinsam neue Regeln zum Mediengebrauch aushandeln.

Wenn es sich tatsächlich um eine Suchterkrankung handelt, suchen wir gemeinsam nach passenden Angeboten – das kann auch eine Behandlung in einer der Gruppen gemeinsam mit glücksspielsüchtigen Patientinnen und Patienten in unserer Suchtberatung sein.

Glücksspiel und Mediensucht? Wie geht das zusammen?

In beiden Fällen handelt es sich um eine sogenannte stoffungebundene Abhängigkeit: Was für die klassische Glücksspielerin oder den Glücksspieler der Geldeinsatz ist und der Verlust der Kontrolle über das Geld, ist für die klassische Medienabhängige, den klassischen Medienabhängigen der Verlust von Lebenszeit und der Verlust der Kontrolle über diese Lebenszeit. Es geht also nicht so sehr um die Frage, was die Menschen konkret tun, um dieses Geld oder diese Zeit zu verspielen, sondern darum, wofür das Suchtmittel eigentlich steht. Was verdrängt es, womit möchte sich ein Mensch lieber nicht auseinandersetzen?

Wie sieht die Therapie genau aus?

Die Menschen, die sich für eine ambulante Therapie entscheiden, sind in der Regel ein Jahr bei uns. In dieser Zeit tauschen sie sich mit den anderen Gruppenteilnehmer*innen aus, es finden aber auch Einzelgespräche statt. Außerdem werden die Angehörigen eng in den Behandlungsprozess eingebunden – wenn dies möglich ist. Ziel der Behandlung ist dabei niemals die Abstinenz – allein beruflich sind wir ja zum Beispiel darauf angewiesen, Mails zu schreiben.

Es geht vielmehr darum, einen kontrollierten Umgang mit den digitalen Medien zu erlernen. Im Anschluss an die einjährige Therapie können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann einen unserer Freundeskreise besuchen, so heißen bei uns die klassischen Selbsthilfegruppen.

Gibt es auch Fälle, bei denen die ambulante Hilfe nicht ausreicht?

Das hat oft etwas mit der Frage nach der Abstinenzfähigkeit zu tun, also mit der Frage, wie viel Schutz von außen ein Mensch braucht, um sich auf die Behandlung einzulassen. Es gibt Menschen, die schaffen es sehr leicht, bestimmte Portale nicht mehr zu bedienen und vom Rechner zu löschen, andere tun sich unheimlich schwer damit. Bei Menschen, die immer wieder rückfällig werden, ist es oft sinnvoll, erst einmal eine stationäre Behandlungsphase einzulegen, damit die Verantwortung nicht ganz bei ihnen alleine liegt.