Rundgang durchs Marie-Burde-Haus

Eine Anlaufstelle für wohnungslose Frauen

Im Marie-Burde-Haus sollen Frauen ein neues Zuhause finden, bei denen die üblichen Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht greifen. Dafür wird ein freigezogenes Gebäude der Diakonie kernsaniert. Noch befindet sich die Einrichtung im Bau. Ein Rundgang mit Projektleiterin Petra Grau und Abteilungsleiterin Stefanie Volkenandt.

Petra Grau und Stefanie Volkenandt stehen vor dem Marie-Burde-Haus und lassen den Blick in die Höhe schweifen. Das Haus ist noch eingerüstet, doch es lässt sich bereits erahnen, wie der Bau künftig aussehen wird. „Die Fenster sind ja schon drin“, freut sie Stefanie Volkenandt, Leiterin der Abteilung Selbstbestimmung und Teilhabe der Diakonie Düsseldorf. Petra Grau, Projektleiterin im Immobilienmanagement der Diakonie, nickt zustimmend: „Ja, es geht voran.“ 

Im Erdgeschoss des Marie-Burde-Hauses sind bereits die Leitungen verlegt, die Wände sind mit Rigips verkleidet, eine kleine Mauer steht dort, wo später der Empfang sein soll. Der Fahrstuhlschacht ist angelegt, aber noch lassen sich die erste und zweite Etage nur über die Treppe erreichen. Nachdem die Architektin und die Sozialarbeiterin die Stufen erklommen haben, verziehen sich die Wolken vor dem Haus und die Sonne kommt heraus. Das Sonnenlicht fällt durch die hohen Fenster in die noch unmöblierten Räume, und jetzt zeigt sich deutlich: Der Aufwand hat sich gelohnt. Dies wird ein schöner Ort. Ein Ort zum Ankommen, ein Ort, um Kraft zu tanken, ein Ort, um Veränderungen anzugehen.

Das Marie-Burde-Haus ist in zweifacher Hinsicht ein besonderes Haus. Zum einen hatte die Diakonie Düsseldorf den Mut, im Bestand zu bauen. Statt das alte marode Gebäude an der Stephanienstraße abzureißen, entschied man sich für eine Kernsanierung. Aus nachhaltigen Gesichtspunkten war dies genau die richtige Entscheidung, findet Projektleiterin Grau. „Ressourcenschonendes Bauen ist der Diakonie ein wichtiges Anliegen.“ So wird die elektrische Wasserversorgung im Haus künftig mit Solarenergie vom Dach bespeist, die Heizungen sind ans Fernwärmenetz angeschlossen, die Fensterrahmen aus recycelten Materialien.

19 kleine Apartments auf vier Etagen sind nach der Sanierung entstanden. Jedes Apartment ist ein bisschen anders. „Sehr charmant“, findet das Projektleiterin Grau. „Die Einrichtung wirkt so viel nahbarer als die früheren Bauten der Wohnungslosenhilfe.“ Denn im Marie-Burde- Haus – und das ist die zweite Besonderheit – sollen Frauen ab 18 Jahren ein neues Zuhause finden, die bisher durch alle Raster gefallen sind.

Frauen wie Manuela, die früh selbstständig werden musste, weil ihre Mutter alkoholkrank war. Während Manuela sich selbst für die Schule fertig machte und für ihre kleine Schwester sorgte, verbrachte die Mutter die meiste Zeit schlafend auf dem Sofa. Ihre Mutter heiratete neu und Manuela bekam einen Stiefbruder. Der Stiefbruder missbrauchte Manuela. Doch als diese sich ihrer Mutter anvertraute, glaubte die ihr nicht. Die Situation eskalierte und Manuela lief von zu Hause fort. Das hatte sie auch vorher immer wieder einmal getan, doch diesmal kam sie nicht zurück. Manuela lebte fortan auf der Straße.

Angebote der Wohnungslosenhilfe greifen bei Frauen wie Manuela, die oft bereits seit Jahren auf der Straße gelebt haben, oft nur schwer. Die frühkindlichen Traumatisierungen wiegen schwer, das Vertrauen in konventionelle Hilfsangebote fehlt. „80 Prozent aller wohnungslosen Frauen haben laut einer Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe im Laufe ihres Lebens Gewalterfahrungen gemacht, unsere Erfahrungen in der Praxis bestätigen dies“, sagt Volkenandt. Angst dominiere den Alltag dieser Frauen: „Sie sind in der Regel Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt: als wohnungs- oder obdachlose Person, als suchtkrank oder psychisch auffällig, als arm und auch als Frau. Viele Türen zu gesundheitlicher Versorgung und Existenzsicherung sind dadurch verschlossen.

Wir sprechen hier von struktureller Diskriminierung oder von Intersektionalität. Die Frauen geben sich aber selbst die Schuld dafür und schämen sich, den Anforderungen unserer Gesellschaft nicht gewachsen zu sein und sich nicht mit Wohnraum versorgen zu können“, sagt Volkenandt. Diese Frauen pendelten zwischen Notschlafstellen, Kliniken, städtischen Unterkünften und der Straße hin und her, ohne einen Halt zu finden.

Im Marie-Burde-Haus soll dieser Kreislauf durchbrochen werden und die Frauen eine Anlaufstelle finden. Der Eingangsbereich der Einrichtung erinnert – bewusst – ein bisschen an ein Hotel, doch am Empfang sitzt keine Rezeptionistin, sondern eine Sozialarbeiterin. Im Haus hat jede der Frauen ein eigenes Zimmer mit Kochnische und Badezimmer, um das sie sich selbstständig kümmert. Wenn die Frauen das Haus verlassen, geben sie aber ihren Schlüssel ab. Dies soll den Frauen vermitteln: „Im Marie- Burde-Haus zu leben, ist deine eigene Entscheidung – niemand zwingt dich.“

Auf diese Weise will die Einrichtung den Frauen den Freiraum geben, den sie brauchen, um sich überhaupt auf Unterstützungsangebote einzulassen. Der Empfang ist rund um die Uhr besetzt, sodass Gespräche „zwischen Tür und Angel“ mit einer Fachkraft jederzeit möglich sind. „So wollen wir nach und nach Vertrauen aufbauen, bis auch Beratungsgespräche im offiziellen Rahmen möglich sind“, erläutert Volkenandt das Konzept.

Petra Grau und Stefanie Volkenandt haben mittlerweile ihren Rundgang beendet und sind im Untergeschoss angekommen. Dort werden unter anderem eine behindertengerechte Dusche und ein Waschraum untergebracht. Ein Teil des Untergeschosses soll später zudem als Lagerraum dienen. Im Gegensatz zu den anderen Räumen wird der Lagerraum nicht umfänglich saniert, sondern erhält nur einen Anstrich, auch aus Kostengründen. „Uns war wichtiger, in die Räume der Frauen zu investieren. Schließlich sollen sie sich später hier wohlfühlen“, sagt Grau. Wenn alles nach Plan verläuft, wird das Marie-Burde-Haus im zweiten Quartal 2024 offiziell eröffnet. Die Zimmer werden schnell belegt sein: In Düsseldorf haben laut einer Zählung aus dem September 2022 rund 500 Menschen ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße. Davon sind rund 20 Prozent Frauen.  

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Marie Burde (Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand) 

Marie Burde war eine alleinstehende, etwas „wunderliche“ Frau mit einem kleinen Einkommen, das sie überwiegend mit „Lumpensammeln“ und dem Verkauf von Altwaren und Zeitungen erzielte. Von 1943 bis 1945 versteckte sie drei junge jüdische Männer in ihrer kleinen Kellerwohnung vor dem Nazi-Regime und rettete ihnen so das Leben.

Einer der drei, Rolf Joseph (1929 – 2012), hielt ihr Andenken aufrecht. Die einzigen Berichte über Marie Burde stammen von ihm: Marie Burde lebte in der fast leeren Kellerwohnung, in der sie die drei jungen Männer versteckte, zwischen Zeitungsstapeln. Sie war Vegetarierin, soll hochintelligent gewesen sein und mehrere Sprachen gesprochen haben. Marie Burde wurde 2012 posthum in Yad Vashem mit dem Ehrentitel Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet.*  


* Vgl. weddingweiser.de/die-geschichte-von-marie-burde