"Die Situation am Flughafen normalisiert sich gerade wieder"

Flughafenseelsorgerin Ute Clevers von der Diakonie Düsseldorf im Interview 

Der Schalter der Flughafenseelsorge

Wie haben Sie die chaotische Zeit am Flughafen in den letzten beiden Wochen erlebt?

Wir haben alle erwartet, dass es voll und auch schwierig werden würde zu den Sommerferien, aber das was in der Woche vor den Ferien und in der 1. Ferienwoche hier am Flughafen los war, damit konnten wir nicht rechnen. Die Technik hat versagt, d.h. die Kofferbänder haben hier teilweise über Stunden stillgestanden und das bedeutete, dass die Koffer größtenteils manuell gelabelt wurden. In so einem Fall können die Mitarbeitenden nur ein Drittel des Gepäcks in der vorgegebenen Zeit abfertigen. Wenn so etwas passiert, dann gibt es innerhalb kürzester Zeit Massen an Menschen, die warten müssen. Dann wird es laut und das Aggressionsniveau steigt.

Dazu kam, dass 2 Jahre Corona-Pandemie und seit diesem Jahr der Ukraine-Krieg, die Nerven aller Menschen ziemlich strapaziert haben. Wenn dann über Stunden nichts vorangeht am Check-in-Schalter, an dem die Menschen warten, um in den ersehnten Urlaub zu fliegen, dann kommt es schnell dazu, dass die Nerven blank liegen. Das haben wir in den letzten beiden Wochen massiv erlebt. In dieser Atmosphäre zu arbeiten, ist für uns eine Herausforderung gewesen, die uns manchmal auch an unsere Grenzen brachte.

Wie erging es den Ehrenamtlichen, die bei Ihnen arbeiten, in dieser Situation?

Gottseidank sind unsere Ehrenamtlichen immer nur 3 Stunden am Stück vor Ort und natürlich war das für sie eine ganz spezielle Erfahrung. Vor allem, weil sie in den letzten beiden Jahren coronabedingt eher wenig zu tun hatten. Aber sie hatten auch das positive Gefühl, dass sie jetzt wirklich gebraucht wurden. Aber klar, nach ihren 3 Stunden im Einsatz waren sie platt.

Was können Sie denn für die Reisenden in solch einer Extremsituation tun?

Wir können ihnen erstmal zuhören. Das hört sich erstmal nach nicht viel an, aber die meisten Mitarbeitenden, die beim Check-in oder beim Service arbeiten, müssen innerhalb einer bestimmten Zeit hundert Leute abfertigen. Die können sich dann nicht auch noch die Ängste und Nöte der Reisenden anhören. Bei uns geht das. Konkret: Wenn ein Koffer nicht mitgekommen ist, dann kann es vorkommen, dass diese Reisenden 3 bis 4 Mal weggeschickt werden und daher mit ihrem Anliegen nicht weiterkommen. Bei uns können sie ihre Geschichte loswerden. Ich kann dann das Procedere ausführlich erklären und habe vielleicht auch eine Idee, die ihnen weiterhelfen kann. Die Reisenden fühlen sich wertgeschätzt und ernst genommen.

Ute Clevers bei der Arbeit

 

 

Die Tendenz zur Normalisierung ist spürbar. Oder wie wir sagen: Es ist die Zeit des ganz normalen Sommersaison-Wahnsinns.

Unterstützen Sie auch die Mitarbeitenden an den Check-in-Schaltern und im Service? Auch sie stehen ja unter Stress.

Es gibt hier in unserer Nähe einen Service-Schalter, der das ganze Buchungs- und Abfertigungsprogramm für eine Airline abwickelt. Es kommt vor, dass in einer Schicht nur zwei Mitarbeitende arbeiten, die das gesamte Umbuchen für zum Beispiel 8 Flüge, die gecancelt wurden, erledigen müssen, und das sind jeweils 150 Passagiere, dann ist das ein echter Knochenjob. Wir stellen uns dann daneben, um die Stimmung bei den Passagieren positiv zu beeinflussen. Und wir fragen die Mitarbeitenden zwischendurch, ob wir ihnen einen Kaffee bringen können oder ob sie schon etwas gegessen haben. So machen wir aus der oder dem Mitarbeiter*in wieder einen Menschen. Wenn wir da sind, wird das als sehr wohltuend empfunden.

Sie sind am Flughafen also bestens vernetzt?

Ja, natürlich. Das bringen die Jahre vor Ort mit sich. Wie jedes System hat auch der Flughafen seine eigene Sprache. Wir können diese Sprache mittlerweile sprechen, aber auch in „normale“ Sprache für Reisende übersetzen. So können wir die mitunter schwer nachzuvollziehenden Abläufe im Flughafen besser erklären.

Wie helfen Sie zum Beispiel älteren Reisenden, die vielleicht gar kein Handy haben, und deren Flug annulliert wurde?

Sich in Ausnahmesituationen ohnmächtig zu fühlen, ist keine Frage des Alters, sondern des Stresspegels. Menschen, die normalerweise bestens mit ihrem Handy umgehen können, finden in so einer Situation auf einmal nicht mehr die Telefonnummern oder Websites, die sie brauchen. Sie sind handlungsunfähig. In diesen Fällen versuchen wir einen Raum zu schaffen, in dem die Menschen es schaffen, wieder normal zu denken: Wir geben den Reisenden die Möglichkeit, durchzuatmen, einen Schluck Wasser zu trinken und dann können sie erzählen. Auf diese Weise kommen ihre Gedanken wieder in Fluss und sie sehen wieder klarer.

Wozu raten Sie Reisenden momentan?

Viele Reisende wollen auf Nummer Sicher gehen und sind schon 4 oder 5 Stunden vor Abflug am Flughafen. Das ist aber nicht sinnvoll, weil die Check-in-Schalter erst 2 bis 2,5 Stunden vor Abflug öffnen. Es genügt 3 Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein, sonst muss man nur sinnlos warten und bekommt schlechte Laune.

Wird sich Ihrer Ansicht nach, die Lage in nächster Zeit beruhigen?

Ja, schon letzte Woche hatten wir hier eine ganz andere Situation. Es gab die üblichen 3 bis 4 Annullierungen, die einfach immer mal passieren können im Laufe des Tages. Ich habe mitbekommen, dass die Mitarbeitenden an den Schaltern zwar viel arbeiten, aber viel ruhiger als zuvor. Es gab kaum lange Schlangen. Die Tendenz zur Normalisierung ist spürbar. Oder wie wir sagen: Es ist die Zeit des ganz normalen Sommersaison-Wahnsinns.

Unsere Flughafenseelsorge

Diakonie & Kirche

Kirchengemeinden und Diakonie - das ist ein natürliches Miteinander. Das zeigt sich in unseren Gremien genauso wie in vielen Projekten und in der Flughafenseelsorge.

Weiterlesen