42 Jahre bei der Diakonie Düsseldorf, 28 Jahre Leiterin des Referates Ehrenamt: Ursula Wolter ist Mrs. Ehrenamt, kein Zweifel. Warum Ehrenamt für die Demokratie so wichtig ist, und warum Ehrenamt professionelle Begleitung braucht, erklärt sie im Interview.
Frau Wolter, wenn man so lange ein Thema so intensiv begleitet wie Sie das Thema Ehrenamt, dann muss man dafür brennen, oder?
Ursula Wolter: Ja, und das fing schon sehr früh an. Im Tersteegen-Haus, der Altenpflege-Einrichtung in Düsseldorf-Golzheim, habe ich im sozialen Dienst gearbeitet. Es war in den 90er Jahren die Zeit, wo immer mehr über bürgerschaftliches Engagement gesprochen wurde, und der Vorständin, die damals für den Bereich „Leben im Alter“ zuständig war, war das Thema auch wichtig. Ich selbst hatte schon 50 Ehrenamtliche, die die soziale Arbeit der Einrichtung unterstützten. Und mir war damals schon wichtig, dass die Ehrenamtlichen gut begleitet werden. Ich habe Standards für meine Arbeit entwickelt, auch wenn ich noch gar nicht wusste, was Freiwilligenmanagement heißt, und auch schon für die ganze Altenhilfe Veranstaltungen organisiert. Und da ist man in der Gesamt-Diakonie auf mich und meine Arbeit aufmerksam geworden und die Pionier-Arbeit für ein die gesamte Diakonie umfassenden Konzept begann.
Ein erstes Highlight Ihrer Arbeit war die Einrichtung des „Düsseldorfer Jahres“, eines Ehrenamtsjahrs für Menschen, die sich im Ruhestand engagieren wollten. Und zwei Jahre später, 1999, dann der große Meilenstein der Freiwilligenzentrale „MachMit“.
Ursula Wolter: Das war damals ein großes Aufbruchsgefühl. Wir wussten damals ja noch gar nicht, ob das ein Erfolg werden würde. Aber die Menschen kamen. Und wir hatten ihnen etwas zu bieten. Aus dem „Düsseldorfer Jahr“ hatte ich schon Kontakt zu 70 Einrichtungen, dementsprechend breit war das Angebot der Engagementmöglichkeiten. Und die Nachfrage ist nach wie vor groß – MachMit macht es ja möglich, die Menschen, die sich engagieren wollen, genau mit dem Engagement zusammenzubringen, das zu ihnen passt. Beratung und Begleitung – das ist in jeder Phase des Ehrenamts wichtig.
Das haben Sie dann in den Jahren darauf immer weiter in Strukturen verankert.
Ursula Wolter: In den Nuller-Jahren wurde das Thema Ehrenamt dann zum strategischen Thema. Es gab vorher schon eine Zusammenarbeit mit der Fachhochschule, die eine „Theorie des Freiwilligenmanagements“ veröffentlicht hat. Nun bin ich keine Wissenschaftlerin, aber ich war sehr daran interessiert, die Theorie mit der Praxis eines Wohlfahrtsverbandes zusammenzubringen. Daraus sind dann schließlich das „Handbuch Ehrenamt“ und die Fortbildung „Ehrenamtskoordination für Hauptamtliche“ entstanden. Dabei ging es nie darum, Strukturen von oben zu verordnen, an die sich dann alle halten müssen. Sondern zu schauen, was Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen hilft, damit die Zusammenarbeit für alle besser wird.
Und das sind Strukturen?
Ursula Wolter: Das hat ganz viel mit Verlässlichkeit zu tun. Menschen sind immer erleichtert, wenn sie Strukturen bekommen. Ehrenamt hat an sich immer etwas Chaotisches, da helfen Leitlinien, die Sicherheit geben. Um es mit einem Bild zu sagen: Ein Haus mit Wänden zu haben ist immer gut. Wie es darin aussieht, das kann ganz unterschiedlich sein. Aber die Sicherheit des Hauses gibt mir erst die Ruhe kreativ zu schauen, wie ich das Innenleben des Hauses gestalte. Das gilt auch für die Arbeit mit Ehrenamtlichen – und den Hauptamtlichen, die mit den Ehrenamtlichen zusammenarbeiten.
Vor zehn Jahren kam die große Fluchtbewegung nach Deutschland. Und der große Boom des Ehrenamts.
Ursula Wolter: Ja, 2015 gab es auf einmal tausende Anfragen nach ehrenamtlichen Engagement. Menschen haben sich einfach überall gemeldet. Das hat alle bestehenden Strukturen gesprengt: Wir wussten gar nicht, wie wir das koordinieren sollen. Aber dann haben wir eben in enger Abstimmung mit der Flüchtlingsberatung schnell neue Strukturen geschaffen: gemeinsame Listen für alle Beteiligten in der Organisation, damit wir die Vermittlung auf mehrere Schultern verteilen konnten. Wir haben auch in kürzester Zeit neue Mitarbeitende eingestellt und ein Qualifizierungsprogramm für Ehrenamtliche geschaffen, weil wir wussten, wie anspruchsvoll die ehrenamtliche Arbeit mit Geflüchteten sein würde. Wir haben dann grundlegendes Wissen vermittelt zu Aufenthaltsrecht und Zuständigkeiten vom Ämtern, aber auch zu Themen wie Trauma oder interkultureller Kompetenz. Es galt, was immer in der Arbeit mit Ehrenamtlichen gilt: Sie nicht alleine lassen.
Und der zweite große Einschnitt, die Corona-Pandemie?
Ursula Wolter: Da geschah in gewisser Weise das Gegenteil. Da wurde quasi über Nacht ehrenamtliches Engagement an vielen Stellen unmöglich. Ich habe überlegt: Was können wir tun? Eine solche Situation hatte es ja noch nicht gegeben. Da war es eine große Hilfe, die Ehrenamtskoordinatorinnen und -koordinatoren zu haben. Gemeinsam haben wir dann neue Aufgaben für Ehrenamtliche und neue Formen des Ehrenamts entwickelt. Am Anfang haben viele Masken genäht, dann wurden Einkaufshilfen benötigt, weil die älteren Menschen ja zu Hause bleiben sollten, und wir haben das Telefonieren neu entdeckt, um gegen die Vereinsamung in den eigenen vier Wänden vorzugehen. Aber es gab auch viel Frustration, gerade bei langjährig ehrenamtlich Tätigen, die als Risikogruppen definiert wurden und nicht mehr wie bisher eingesetzt werden durften. Da gab es schon einen Abbruch. Auf der anderen Seite kamen neue Menschen dazu – und das Unternehmensengagement ist noch einmal explodiert.
Warum hat gerade dieses Thema so an Bedeutung gewonnen?
Ursula Wolter: Das liegt unter anderem an EU-Vorgaben, die die „Corporate Social Responsibility“, also Soziale Verantwortung von Unternehmen, auf die Agenda gesetzt haben, an dem Imagegewinn, den das mit sich bringt, aber auch an dem gestiegenen Bewusstsein der Firmen für ihre Verantwortung für die Gesellschaft. Gleichzeitig haben wir unsere Begleitung für Unternehmen, unter anderem mit der eigenen Webseite sozialgewinnt.de so professionalisiert, dass die Nachfrage von Firmen nach Aktionstagen immer weiter angestiegen ist. Das ist ein großer Gewinn auch für unsere Einrichtungen: Ausflüge, Renovierungen, Feste: Die Bandbreite der Möglichkeiten ist auch hier riesig. Mehr als 100 solcher Aktionstage haben wir im vergangenen Jahr organisiert. Tendenz weiter steigend.
Nun gehen Sie in den Ruhestand. Haben Sie trotzdem ein Zukunftsthema für das Ehrenamt im Blick?
Ursula Wolter: Was mich in letzter Zeit immer wieder beschäftigt hat, ist die Wirkung des Ehrenamts als Demokratieförderung. Demokratie lebt von Beteiligung, Integration von unterschiedlichen Meinungen, aber hat auch ganz viel mit einer Wertegemeinschaft zu tun. Für all das ist das Ehrenamt sehr wichtig. Wenn wir als Diakonie unsere Werte in die Gesellschaft bringen wollen, brauchen wir das Ehrenamt. Werte wie Nächstenliebe, Solidarität, den Einsatz für benachteiligte Menschen, gegenseitige Unterstützung und Gemeinschaft – das sind alles demokratiefördernde Elemente. Ich würde mich sehr freuen, wenn das noch mehr in den Blick kommt.
Und Sie selbst? Reicht das jetzt mit dem Ehrenamt oder werden Sie sich selbst ehrenamtlich engagieren?
Ursula Wolter (lacht): Dazu hatte ich schon ganz viele Ideen: Vorlesen in einer Kita zum Beispiel oder mich in einem Naturschutzprojekt einzubringen. Der Sommer ist aber jetzt erst mal für mich selbst reserviert. Für die Zeit danach muss ich noch herausfinden, was jede und jeder Ehrenamtliche für sich herausfinden sollte: Wofür mein Herz schlägt.
Das Handbuch Ehrenamt hat mittlerweile Standards gesetzt in vielen Organisationen in Deutschland, und auch die Fortbildungsreihe „Ehrenamtskoordination“, die hauptamtlich Mitarbeitende fortbildet für die Koordination ehrenamtlicher Arbeit. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.