Das große Los

Das Grundeinkommen hat die Welt von Maike Niedermeier verändert. Eine Geschichte
über einen Aufbruch, für den man Geld braucht, und warum das ungerecht sein kann

Text und Fotos: Karl Grünberg

Sie konnte es nicht glauben, als die Nachricht kam. Ausgerechnet sie sollte ein Grundeinkommen gewonnen haben? 1000 Euro pro Monat, ein ganzes Jahr, ohne Bedingungen und Verpflichtungen? Das konnte nicht stimmen. Sie, das ist Maike Niedermeier, 31 Jahre alt, studierte Sozialarbeiterin und ausgebildete Reitpädagogin. Letzteres ist wichtig, denn Maike hatte einen Traum. Doch jahrelang war sie fest davon überzeugt, dass sie ihn sich niemals würde leisten können.

Maike lebt in einem kleineren Ort bei Jena in Thüringen. An diesem sonnigen Montagnachmittag im September steht sie auf der Koppel eines Pferdehofes. Von hier aus sieht man Wälder und Hügel, irgendwo versteckt zwischen den Bäumen schlängelt sich der Fluss Saale. Weiter hinten hebt sich eine Autobahnbrücke wie ein Ungetüm über das Land. Maike trägt eine Brille auf der Nase. Ihre Haare hat sie zu einem praktischen Zopf gebunden. Ernsthaft wirkt sie. Wie jemand, der sich Gedanken macht, bevor sie etwas sagt oder tut. Gedanken machen muss sie sich auch – zum Beispiel, wenn es um das Thema Geld geht.

Vor verschlossenen Türen

Geld ist Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte. Hat man es nicht, bleiben die allermeisten Türen verschlossen. Hat man es, scheint vieles plötzlich möglich. Das Grundeinkommen wiederum kann helfen, diese Chance zu ergreifen. Gleichzeitig macht es deutlich, wie ungerecht es ist, dass es eben nur an diesem Geld fehlt, um aufzubrechen, einen neuen Schritt zu wagen, so wie das bei Maike der Fall ist.

Maike hat nie viel Geld gehabt. Bafög brachte sie durchs Studium. Gleichzeitig war sie sehr sparsam, weil sie unbedingt ihr Pony behalten wollte. Nora heißt es. Maike war 13, als sie Nora geschenkt bekam. Egal, was passierte, Umzüge, Lebenszweifel, immer war Nora da. „Nora hat mich stärker gemacht“, sagt Maike. Das Pony aufzugeben, nur weil es ihr an Euros fehlte, kam für sie nicht in Frage. Jetzt streicht Maike ihm über die Mähne, legt ihr Gesicht auf den Pferdehals und schließt kurz die Augen. Dann richtet sie sich auf, nimmt die Zügel und führt Nora über die Koppel.

Frau mit Pony

Ein Pony kann einen stärker machen? Maike lacht, dann erklärt sie, während sie durch den Matsch stiefelt. Pferde sind Fluchttiere. Es muss also einen guten Grund haben, einem Menschen zu vertrauen und sich nicht bei dem ersten Anzeichen einer Gefahr davonzumachen.

Pferde beruhigen Kinder und geben ihnen Selbstbewusstsein

Nora testete sie, forderte sie heraus, wollte wissen, ob Maike das Zeug dazu hatte, sie zu führen. „Dazu muss ich natürlich selber wissen, was ich möchte. Wenn ich zum Beispiel keine Körperspannung habe, dann nimmt sie mich nicht ernst“, sagt Maike. Das war früher. Heute lässt Nora sich von Maike ohne Sattel und Zaumzeug reiten. Ein kleiner Druck hier und dort reicht vollkommen aus. Schon während ihres Studiums spürt Maike, dass sie mit Kindern und mit Pferden arbeiten möchte. „Pferde haben eine Art, Kinder einerseits zu beruhigen und ihnen andererseits Selbstvertrauen zu geben“, sagt sie.

Sie berichtet von Kindern, die zuhause zu kurz kommen und sich die fehlende Zuneigung von den Pferden holen; kuscheln, streicheln, das macht was mit den Kindern. Für Maike die perfekte Mischung, um sinnvolle Arbeit zu leisten.

Macht Geld faul?

Um Sinnhaftigkeit geht es auch beim Grundeinkommen. Rund 260 Kilometer liegen zwischen Maike, der Pferdekoppel und dem Schreibtisch von Michael Bohmeyer, der in einer Fabriketage in Berlin-Neukölln steht. Hier die Provinz, dort die Metropole. Schaut man in Letzterer aus dem Fenster, sieht man vor allem Straßen, Autos und Häuserwände. Michael, 37, ist der Initiator des Vereins „Mein Grundeinkommen“. Freundlich beantwortet er die Fragen. Immer wieder steht er während des Gespräches auf, läuft ein paar Schritte im Raum umher, setzt sich wieder. Interviews sind Routine. Es gibt kaum eine Fernsehshow in Deutschland, in der er nicht schon aufgetreten ist. Das Interesse an seiner Idee ist groß. Kein Wunder, ist doch die Vorstellung, dass da jemand pro Monat Geld geschenkt bekommt, geradezu revolutionär – für die einen scheint es ein Ausweg aus der Altersarmut und dem Hartz-IVSystem zu sein, für die anderen fast schon ein Anschlag auf die freie Marktwirtschaft.

Werden die Menschen nicht faul, wenn man ihnen Geld schenkt? Geht dann überhaupt noch jemand arbeiten? Das sind die Fragen, die Michael dann vor einem Millionenpublikum beantworten muss. Auf die Idee, Grundeinkommen zu verlosen, kam Bohmeyer, weil er selber eine Art Grundeinkommen bezieht. Er gründete mehrere Unternehmen, fungiert in einem als passiver Mitinhaber und profitiert von jährlichen Gewinnausschüttungen, so steht es in Michaels Wikipedia Eintrag.

Das muss doch auch für andere möglich sein, dachte er sich und legte los. Heute, sieben Jahre später, hat der Verein rund 2,8 Millionen Euro an exakt 892 Menschen verschenkt. Das Geld sammelt der Verein durch Spenden ein. Alle paar Wochen, wenn sich wieder genügend Geld angesammelt hat, werden die nächsten Grundeinkommen verlost.

Mehr zum Thema

UnSichtbar

Im September 2019 machte Georgine Kellermann, die bin dahin als Georg vor der Kamera stand, ihr Coming-out als Transfrau öffentlich. Über ihren Aufbruch in ein anderes Leben schreibt sie in einem Gastbeitrag

Weiterlesen

„Die Leute können mit einem neuen
Selbstbewusstsein für ihre Rechte
eintreten. Menschen werden gesünder,
weil sie sich weniger Sorgen machen.
Sie bilden sich klug weiter, um langfristig
ihre Situation zu verbessern.
Mit der Sicherheit des Geldes treffen
sie bessere Entscheidungen.“

Erst Aufbruchstimmung, dann Ernüchterung

Im Laufe der Jahre und der vielen Grundeinkommen konnte Michael eine Art Reaktions-Grundmuster bei den Menschen erkennen. „Erst haben die Leute große Hoffnungen, haben Ausbruch- und Aussteigerfantasien. Sie wollen sich scheiden lassen, den Job kündigen, sich selbstständig machen“, sagt er. Danach gäbe es eine Phase der Ernüchterung, weil 1000 Euro eben doch nicht reichen, um sein Leben von jetzt auf gleich völlig umzukrempeln. Mit der Ernüchterung komme die Besinnung, das tiefe Nachdenken, das Kraftsammeln und sich selbst Gewahrwerden, erklärt er.

„Der Job wird nicht gekündigt, aber die Leute können mit einem neuen Selbstbewusstsein für ihre Rechte eintreten, weil sie eben kündigen könnten, wenn sie wollten. Menschen werden gesünder, weil sie sich weniger Sorgen machen. Sie bilden sich klug weiter, um langfristig ihre Situation zu verbessern. Mit der Sicherheit des Geldes treffen sie bessere Entscheidungen.“

Michael Bohmeyer
Foto von Fabian Melber

Zurück nach Jena. Dort hat Maike es geschafft, genau so eine kluge Entscheidung zu treffen. Vier Jahre arbeitete sie Teilzeit auf einem Pferdehof. Sie hatte Angst, sich komplett selbstständig zu machen. „Da war irgendetwas in mir, das mich hat zweifeln lassen“, sagt sie. Die monatlichen Kosten von rund 1000 Euro für ihre inzwischen beiden Ponys schienen ihr zu hoch, dazu kämen auch noch Krankenkasse, Rentenbeitrag und Lebenshaltungskosten. Stattdessen ertrug sie eine Chefin, die sie schlecht und unpünktlich bezahlte, die sie immer wieder zu unbezahlten Überstunden nötigte, die aus dem Pferdehof einen Massenbetrieb machte. „Es war eine Fließbandabfertigung. Eine Kindergruppe nach der anderen. Keine Zeit für individuelle Arbeit mit den Kindern, keine Erholung für die Pferde“, sagte Maike.

Das Grundeinkommen änderte alles. Die ersten 1000 Euro spendete Maike. Dann schrieb sie ihrer Chefin einen Brief, in der sie um bessere Arbeitsbedingungen bat. Keine Reaktion, stattdessen kam die Kündigung. „Jetzt oder nie“, dachte sich Maike. Denn jetzt hatte sie die Sicherheit, die sie brauchte, um sich als Reitpädagogin selbstständig zu machen. Schnell ist sie ausgebucht. Kinder können jede Woche kommen. Oder alle zwei Wochen. Oder auch nur einmal im Monat. „Es soll nicht am Geld scheitern, ob jemand lernt, wie man gut mit einem Pferd umgeht“, sagt sie.

Heute ist Maike glücklich, diesen Schritt gegangen zu sein. Das Geld vom Grundeinkommen hat sie nicht gebraucht. Die Angst war nur in ihrem Kopf.