Die Hölle ist zuhause

Jede vierte Frau wird einmal oder mehrmals in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren Partner. Ein Gespräch mit der Rechtsanwältin Christina Clemm, die diesen Frauen zur Seite steht

Grafik, die eine offene Türe darstellen soll

Text: Karl Grünberg

Sie sind Berliner Anwältin und vertreten häufig Frauen, die von ihren Partnern oder Expartnern geschlagen und misshandelt wurden. In welchen Situationen befinden sich die Frauen, wenn diese sich bei Ihnen melden?

Die Frauen wissen oft nicht, wie es mit ihnen weitergehen soll. Viele haben sich in Frauenhäuser geflüchtet oder sind bei Freund*innen oder Verwandten untergekommen. Wieder andere befinden sich noch in ihrer Wohnung. Oft darf der schlagende Partner sich dieser aufgrund einer polizeilichen Wegweisung nicht mehr nähern. Ich musste aber auch schon Mandantinnen auf der Intensivstation aufsuchen, weil sie fast zu Tode geprügelt worden waren.

Wie lange halten Frauen diese Situation der häuslichen Gewalt aus, bevor sie sich bei Ihnen melden?

Manche melden sich nach dem ersten Übergriff. Bei den allermeisten ist aber bereits viel passiert.

Was meinen Sie damit? Wie viel ist „viel“?

Oft entwickelt es sich langsam. Am Anfang verhält sich der Partner etwa besonders beschützend, was erst einmal als Ausdruck seiner Liebe interpretiert wird. Dann kommt immer mehr Kontrolle hinzu. Der Partner schaut ins Handy. Er möchte wissen, wohin die Partnerin geht, mit wem sie sich trifft. Dann fängt die Isolation an. Er möchte am liebsten gar nicht mehr, dass die Partnerin das Haus verlässt, den Kontakt zu Freund*innen hält. Da geht es um Macht und Verfügbarkeit. Beleidigungen und Gängelungen kommen hinzu. Nach und nach wird das Selbstbewusstsein der Frau geschwächt. Bis es dann zum ersten Schlag kommt.

Das wäre doch ein Punkt, an dem die Partnerin sagen könnte: Jetzt gehe ich.

Das ist leichter gesagt als getan. Zum einen gibt es ambivalente Gefühle, sie lieben ja häufig genau diesen Mann, der ihnen das antut. Viele haben sich gemeinsam etwas aufgebaut, eine gemeinsame Wohnung, die Vision einer Zukunft, oder es gibt gemeinsame Kinder. Nach dem ersten Schlag entschuldigt sich der Partner meist wort- und tränenreich. Es gibt einen großen Blumenstrauß und das Versprechen, dass es nie wieder passiert. Bis es wieder passiert und wieder.

Es ist also eher eine Spirale, die da in Gang gesetzt wird.

Ja. Häufig kommt noch hinzu, dass der Partner es schafft, der Frau einzureden, dass sie schuld an seinem Gewaltausbruch sei. Sie hätte ihn gereizt. Weil sie immer irgendetwas Falsches mache, passiere das. Er wolle das doch gar nicht.

„Es gibt einen großen Blumenstrauß und das Versprechen, dass es nie wieder passiert. Bis es wieder passiert und wieder.“

Welche Folgen hat das, wenn das eigene Zuhause nicht mehr sicher ist, was macht das mit einem?

Es bewirkt eine riesige Verunsicherung, die aus dieser Situation der permanenten Gefährdung hervorgeht, häufig mit erheblichen psychischen Folgen. Das eigene Zuhause sollte der eigene Schutzraum sein. Hier muss ich mich fallenlassen und sicher fühlen können. Stattdessen herrscht gerade dort diese große Aggression und permanente Angst. Wird er mich schlagen, weil ihm das Essen nicht schmeckt, weil die Schuhe nicht ordentlich weggeräumt sind, weil die Kinder zu laut sind oder einfach so, weil er gestresst ist, schlechte Laune hat? All das sind Beispiele, die ich mir nicht ausdenke, sondern mit denen ich seit über 20 Jahren in diesem Beruf jeden Tag in der einen oder anderen Form zu tun habe. Dazu kommt die Scham der Opfer angesichts dieser Situation.

Warum schämt sich das Opfer? Hat es nicht vielmehr das Recht, wütend zu sein?

Viele Betroffene schämen sich über diese so erniedrigenden Situationen. Sie geben sich eine Mitschuld und machen sich Vorwürfe, diesen Zustand zu lange auszuhalten. Wem soll man denn erzählen, dass man jahrelang misshandelt wurde und dennoch immer wieder geblieben ist? Und viele fragen sich, ob man ihnen überhaupt glaubt. Immerhin haben sie oft jahrelang daran mitgearbeitet, dass die Gewalt nicht nach außen sichtbar ist. Häufig fragen Richter*innen oder Verteidiger*innen die Betroffenen dann auch im Gericht: Warum haben Sie sich denn nicht gleich getrennt? Kann es denn dann überhaupt so schlimm gewesen sein? Oft klingt dies vorwurfsvoll, so als trage das Opfer eine Mitschuld.

Aber irgendwann ist dann bei Ihren Mandantinnen doch ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr aushaltbar ist?

Ja. Entweder weil sie es selbst schaffen, sich aus dieser Spirale zu befreien. Oder weil jemand anderes die Polizei gerufen hat, weil die Betroffenen Angst haben, die nächste Eskalation nicht zu überleben. Oder weil die Kinder mit betroffen sind und sie Angst um diese haben.

Ist damit die Gefahr gebannt?

Für einige meiner Mandantinnen geht der Albtraum weiter. Denn jetzt droht der Partner: Wenn du mich verlässt, dann mache ich dich fertig, dann bringe ich dich um, dann veröffentliche ich Bilder im Internet und so weiter. Die Frauen haben ja erlebt, zu was er fähig ist, und glauben den Drohungen. Manchen Trennungen folgen endloses Stalking und weitere Gewalttaten. Eine Trennung ist, das muss man leider auch verstehen, bei gefährlichen Tätern hochriskant. Ich habe es zum Glück noch nicht erlebt, dass eine meiner Mandantinnen getötet wurde. Ich habe aber schon Angehörige vertreten, bei denen die Frau von ihrem Partner getötet wurde. Jedes Jahr werden in Deutschland ca. 150 Frauen von ihren Partnern und Expartnern getötet.

Was ist denn mit Frauenhäusern als Schutzmöglichkeit?

Als Notlösung geht das, nicht aber als längerfristige Perspektive. Die Betroffenen verlieren durch die Flucht häufig ihre Arbeit, die Kita und Schulplätze, ihr gesamtes soziales Umfeld. Sie müssen alles zurücklassen. Das ist keine einfache Entscheidung.

Was kann die Polizei tun?

Die Polizei kann den Partner aus der Wohnung weisen und anordnen, dass er für eine bestimmte Zeit nicht wiederkommen darf. Bei hochgefährlichen Tätern nutzt dies aber nichts, da dieser ja immer noch weiß, wo sich die Frau aufhält. Nach der polizeilichen Wegweisung können Betroffene eine Gewaltschutzanordnung erwirken. Hier können Familiengerichte festlegen, dass sich der Gewaltausübende der Frau nicht mehr nähern darf, sie können auch die Ehewohnung der Betroffenen allein zuweisen. Verstößt er gegen die Anordnung, riskiert er Ordnungsmittel und strafrechtliche Verfolgung. Trotzdem kommt es immer wieder dazu, dass ein Täter einfach weitermacht, einen Verstoß nach dem anderen begeht, ohne dass es eine unmittelbare Konsequenz für ihn gibt, weil die Gerichte zu lange brauchen. In einem meiner Fälle sammelte ein Partner ungefähr 250 Gewaltschutzverstöße an, bevor seine allerersten Taten überhaupt verhandelt wurden, und er machte ungehemmt weiter.

Was können Sie als Anwältin erreichen?

 Als Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht bin ich genau an dieser Schnittstelle tätig. So führe ich etwa die Gewaltschutzverfahren, Verfahren wegen der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Umgangs, später der Scheidung. Ich begleite und vertrete die Betroffenen häufig gleichzeitig in den Ermittlungs- und Strafverfahren.

Wie ergeht es Ihren Mandantinnen vor Gericht? Hilft so ein Prozess, die Situation zu lösen und sie zu schützen?

Manchmal ja, häufig nicht. Ein großes Problem ist, dass Ermittlungsbehörden und Gerichte überlastet sind. Da kann es schon einmal zwei bis drei Jahre dauern, bis es zu einem Prozess kommt. Viele Betroffene sind weiter ambivalent. Es geht ihnen weniger um besonders hohe Strafen für den Täter. Vielmehr wollen sie, dass die Taten beendet werden und dass es Konsequenzen hat. Immer wieder haben Mandantinnen Angst, dass durch das Strafverfahren die Situation erneut eskaliert, das Stalking, die Angriffe. Sie bitten mich, alles dafür zu tun, dass es nicht zu einer Verurteilung kommt. Oft gibt es auch ökonomische Abhängigkeiten. Wenn der Expartner ins Gefängnis kommt, kann er keinen Unterhalt mehr zahlen. Oder aber die Frauen wünschen sich für ihre Kinder keinen Vater, der im Gefängnis sitzt oder bestraft ist. So eine Aussage kann sehr belastend sein, und auch, mit dem Täter in einem Raum zu sitzen.

Ich versuche, meine Mandantinnen so gut es geht durch den Prozess zu bringen. Doch das ist mitunter schwierig. Als Zeuginnen müssen sie oft unzählige Fragen beantworten, die äußerst intim und belastend sind. Viele empfinden dies als erniedrigend und es kann retraumatisierend sein, wenn sie Gewaltexzesse und Vergewaltigungen nacherzählen müssen in einem ungeschützten Raum wie dem Gerichtssaal. Wenn sie den Täter sehen und hören müssen, wenn er Gesten macht, um sie einzuschüchtern. Oder wenn sie das Gefühl haben, sich für ich eigenes Verhalten rechtfertigen zu müssen. Insgesamt wird häusliche Gewalt immer noch zu oft bagatellisiert, und viele Richter*innen sind nicht ausreichend sensibilisiert.

Woran machen Sie den letzten Punkt fest?

Es geht oft schon mit dem Umgang mit der Betroffenen los. Immer wieder erlebe ich, dass Mandantinnen als Zeuginnen wie Bittstellerinnen behandelt werden, Richter*innen ihnen unhöflich oder zumindest genervt begegnen. Dabei ziehen die Betroffenen aus den Verfahren ja keinen Nutzen, es geht um die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Häufig ist es dann die Art der stundenlangen Befragung, bei der keine Rücksicht auf die Gefühle, Ängste und Traumata der Opfer genommen wird. Oft passiert es, dass die Opfer aufgrund der schwierigen Situation im Gericht gar nicht alles, was geschehen ist, berichten oder es harmloser beschreiben, als es wirklich war. Meiner Erfahrung nach wünschen sich die Opfer von dem Ausgang des Verfahrens vor allem, dass sich die Taten weder gegen sie noch eine andere Frau wiederholen. Sie wünschen sich außerdem die offizielle Bestätigung durch eine*n Richter*in, dass das, was ihnen angetan wurde, Unrecht und falsch war. Dafür braucht man aber Fortbildungen für Richter*innen, damit sie zum Beispiel typische Strukturen und Dynamiken von Partnerschaftsgewalt erkennen und die Retraumatisierung der Betroffenen verhindern können.

Was muss sich ändern?

Es muss einen schnellen und effektiven Schutz des Opfers geben. Der Täter muss eine sehr rasche Konsequenz spüren. Frauenhäuser und Frauenberatungen brauchen mehr Plätze und eine bessere Ausstattung. Es muss aber auch Täterarbeit in Form von Therapien und Anti-Aggressionskursen etc. geben. Schließlich müssen die Kinder in diesen Beziehungen mitgedacht werden und die Familiengerichte entsprechend entscheiden. Manche Kinder sind durch die miterlebte Gewalt selbst schwer traumatisiert, fallen durch aggressives, oft auch selbstverletzendes Verhalten auf. Und letztlich brauchen wir gesamtgesellschaftliche Veränderungen, endlich ein Ernstnehmen des Phänomens, Aufklärung, Prävention, Enttabuisierung. Gleichstellung der Geschlechter ist dafür erforderlich, denn letztlich ist die Gewalt innerhalb der Partnerschaften ein Ausdruck der patriarchalen Machtstrukturen. Und wir brauchen echte Solidarität mit den Betroffenen.

Wie halten Sie diese Arbeit aus?

Mich trägt, dass ich sehe, wie sich die Frauen nicht unterkriegen lassen wollen und es schaffen, nach all diesen Ängsten und schrecklichen Erfahrungen ein neues Leben anzufangen. Ich unterstütze sie dabei, auch wenn mein Part nur eine kleine Strecke eines langen Weges ist.

 

2019 gab 141.792 Opfer von häuslicher Gewalt, 115.000 davon waren laut Kriminalstatistik Frauen. Jede vierte Frau ist in ihrem Leben einmal oder mehrmals Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren Partner. In der Corona-Pandemie und während des Lockdowns sind die Zahlen – das legen Erfahrungen der Diakonie Düsseldorf nahe – noch einmal deutlich angestiegen. Jeder kennt jemanden, der ein Täter ist oder ein Opfer.

Die Diakonie unterstützt Frauen in Not mit verschiedenen Angeboten.

Christina Clemm, geboren 1967, Fachanwältin für Strafrecht und Fachanwältin für Familienrecht, Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz.

Hilfetelefon
Gewalt gegen Frauen
08000 116 016

Buch-Tipp!

Christina Clemm hat auch ein sehr lesenswertes Buch geschrieben: "Akteneinsicht"

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