Energie – einfach unbezahlbar

Die derzeitige Preisexplosion bei Strom, Gas und Öl trifft vor allem die, die ohnehin nicht viel haben.

Am Wuppertal Institut forscht Florin Vondung zum Thema Energiearmut. Er erklärt im Interview, wie man Betroffenen helfen kann. Lesen Sie das vollständige Interview in unserem Print-Magazin oder e-paper.

Ist Energiearmut ein neues Thema?

Für manche mag das so wirken. Tatsächlich wird zu diesem Thema bereits seit vielen Jahren geforscht und auch die EU hat in den letzten zehn Jahren einen verstärkten Fokus auf dieses Problem gelegt. In anderen europäischen Ländern wie zum Beispiel Frankreich ist die politische Debatte hier schon deutlich weiter und es werden gezielte Maßnahmen ergriffen.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Handlungsbedarf?

Das Thema Kosten ist eine der zentralen Herausforderungen der Energiewende. Die Transformation aller Lebensbereiche erfordert hohe Investitionen, deren Kosten aber gerecht verteilt werden müssen.

Werden Menschen mit steigenden Kosten alleine gelassen, sinkt die Akzeptanz, wie wir in Frankreich bei den Gelbwesten gesehen haben.

Lässt sich die Zahl der Betroffenen schätzen?

Wie viele Menschen von Energiearmut betroffen sind, hängt davon ab, wie man diesen Zustand definiert. Grundsätzlich kann man sagen, dass es die Menschen betrifft, die sich energieverbrauchende Alltagshandlungen wie Heizen, Kochen, Waschen etc. aufgrund ihrer finanziellen Situation nicht leisten können oder dafür Abstriche in anderen Bereichen machen müssen.

Zwischen 2019 und 2020 hat sich gemäß einer jährlichen Befragung der Anteil der Menschen, die es sich laut eigener Aussage nicht leisten konnten, ihre Wohnung angemessen zu beheizen, von 2,5 auf neun Prozent mehr als verdreifacht.

Dies entspricht ca. 7,5 Mio. Menschen. In der armutsgefährdeten Bevölkerung betraf dies sogar jeden Fünften! Einen weiteren Hinweis gibt die Zahl der Stromsperren im letzten Jahr: 230.000. Diese Zahl wird sich infolge der gestiegenen Kosten sicherlich erhöhen.

Sind der Kampf gegen steigende Energiepreise und die Bekämpfung der Energiearmut das Gleiche?

Nein.

Um steigenden Energiepreisen entgegenzuwirken, werden oftmals Maßnahmen vorgeschlagen, die nach dem Gießkannenprinzip funktionieren und oftmals eher einkommensstärkere Haushalte begünstigen (z.B. die Erhöhung der Pendlerpauschale).

Für die effektive Bekämpfung der Energiearmut bedarf es aber gezielter Maßnahmen, die nicht nur die finanzielle Belastung für die betroffenen Haushalte ausgleichen, sondern auch die Ursachen adressieren.

Wie sieht aus Ihrer Sicht also ein tauglicher Ansatz aus, gegen Energiearmut anzugehen?

Hier muss man zwischen kurz-und langfristiger Perspektive unterscheiden. Kurzfristig sind schnelle und unbürokratische Maßnahmen wichtig,wie der eben beschlossene Heizkostenzuschuss für Transferleistungsempfänger*innen, um den Haushalten über die Runden zu helfen. Dieser müsste allerdings nach Einschätzung der Verbraucherzentrale angesichts der aktuellen Preissteigerungen noch deutlich höher ausfallen.

Und langfristig?

Da bedarf es einer Sanierungsoffensive, die darauf abzielt, einkommensschwache Haushalte bei ihren Energiekosten zu entlasten.

Da energiearme Haushalte in Deutschland zu einem überwiegenden Anteil Mieter*innen sind, müssen entsprechende Anreize für Vermieter*innen gesetzt werden, ihre Gebäude energetisch zu ertüchtigen. Dabei muss aber darauf geachtet werden, dass Mieter*innen nicht rausrenoviert werden.

Klingt nicht so, als könnten Betroffene selbst viel tun, um ihre Situation zu verbessern, oder?

Tatsächlich sind die Möglichkeiten solcher Haushalte oftmals beschränkt. Es gibt kostenlose Beratungsangebote wie den StromSparCheck, die Tipps zum Energiesparen im Haushalt geben und kostenlos Soforthilfen (wie z. B. LED, schaltbare Steckdosenleisten, Sparduschköpfe etc.) bereitstellen. Durchschnittlich sparen die beratenen Haushalte dadurch ca. 200 Euro/Jahr. Eine weitere Option sind sogenannte Prepaid-Zähler, die dabei helfen können, die Kostenkontrolle zu erhöhen und Energieschulden zu vermeiden. An den technischen Ursachen hoher Verbräuche können die Haushalte aber wenig ändern, da eine Dämmung oder ein Austausch der Heizung nur von Vermieter*innen vorgenommen werden können.

Zum Schluss: Welche Möglichkeit sehen Sie, wie ich, aber auch die Leser*innen dazu beitragen können, Energiearmut in Deutschland zu beenden?

Keine einfache Frage.

Zunächst bedarf es einer stärkeren gesellschaftlichen Anerkennung dieses Problems.

Für Eigentümer*innen gilt ganz klar, dass eine energetische Ertüchtigung zur Entlastung von einkommensschwachen Mieter*innen beitragen kann. Letztlich müssen auch die gesamten Wohnkosten in den Blick genommen werden. Werden diese moderat gehalten, stellen auch die Energiekosten eine geringere Herausforderung für die Bewohner*innen dar.

 

Photo by Julian Hochgesang on Unsplash

Florin Vondung, Politik- und Verwaltungswissenschaftler

Florin Vondung ist Politik- und Verwaltungswissenschaftler und erforscht am Wuppertal Institut unter anderem die Erfassung von und Lösungsansätze für Energiearmut. 

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