Zwei Häuser für Wohnungslose 

Jasmin und Patrick wagen den Neuanfang

Ein Hund versteckt sich hinter der Wade seines wohnungslosen Frauchens.

Jasmin und Patrick haben lange in einem Camp auf der Straße gelebt. Bis die Stadt ihnen und weiteren wohnungslosen Menschen zwei leerstehende Häuser zur Verfügung stellte. Ein Neuanfang?

Im vergangenen Winter sorgten die Zelte von zehn wohnungslosen Menschen, die aneinandergereiht in den Seitenpavillons des NRW-Forums standen, für kontroverse Diskussionen in Düsseldorf. Die Frage war, ob sie dort bleiben dürfen oder nicht. Die Verantwortlichen bei der Stadt entschieden sich Anfang des Jahres dafür, dass das Camp bis zum Ende der Winters an diesem wind- und wettergeschützten Ort stehen kann, und fanden danach eine ungewöhnliche Lösung für dessen Bewohnerinnen und Bewohner: Die acht Männer und zwei Frauen zogen samt ihrer Hunde in zwei leerstehende, nicht vermietbare Häuser der Stadt in Düsseldorf-Hamm. Sozialarbeiter Markus Well von der Diakonie, der die wohnungslosen Menschen von Anfang an begleitet hat, erzählt: „Die Camp-Bewohner waren eine eingeschworene Gruppe, die gerne zusammenbleiben wollte, auch mit ihren Hunden. In den herkömmlichen Unterkünften geht das nicht, weil Männer und Frauen getrennt voneinander untergebracht werden und Hunde nicht erlaubt sind. Die zwei Häuschen mit kleinem Garten waren deshalb ideal für sie.“

Wir wollen, dass das erste Wort, dass unser Sohn sagen wird, ‚Überflieger‘ ist

Patrick

Jasmin und Patrick bekamen als Paar das größte Zimmer in einem der Häuser. Sie haben sich ihr Zimmer mit einem Doppelbett und einer kleinen Sitzecke zweckmäßig, aber gemütlich eingerichtet. Individualität bekommt das Zimmer vor allem durch die von Patrick handgemalten großen Blumenornamente an der Wand und durch die Old English Bulldogge Berta, die meist tiefenentspannt auf der Couch vor sich hin schnarcht. „Ohne sie hätte ich vieles in den letzten Monaten nicht geschafft“, sagt Jasmin, die den Hund im Alter von neun Monaten vor ihrem früheren Besitzer gerettet hat, der das Tier nicht gut behandelte. Und ohne Berta hätten sich Jasmin und Patrick nie kennengelernt: Als das Temperament des eigentlich friedlichen Hundes doch einmal mit ihm durchgegangen war und er einen plötzlichen Sprint einlegte, holte er Jasmin und den in der Nähe stehenden Patrick von den Beinen – der stürmische Anfang ihrer Beziehung.

Die Beziehung zerbrach, das Kind blieb beim Vater

Jasmin ist gut behütet bei ihren Eltern aufgewachsen. Daher war deren Trennung für sie ein großer Schock: „Das haben meine Eltern beim Abendessen verkündet. Dabei hatte ich nie mitbekommen, dass sie sich streiten oder dass etwas nicht stimmt. Ich konnte das einfach nicht fassen.“ Die Mutter zog relativ schnell aus, die damals 18-jährige Jasmin blieb beim Vater. Das Zusammenleben klappte jedoch nicht, und so landete sie irgendwann „auf Platte“, wie Jasmin immer sagt, wenn sie vom Leben auf der Straße erzählt. Trotz der Wohnungslosigkeit führte sie ihre Ausbildung als grafisch-technische Assistentin weiter – bis all ihre Sachen gestohlen wurden. Ohne Notebook und Kamera musste sie ihre Ausbildung ein halbes Jahr vor dem Abschluss abbrechen. Dann verliebte sie sich und wurde schwanger. Mit Freund und Kind zog sie in eine Wohnung, die ihnen Jasmins Mutter vermittelt hatte. Doch die Beziehung zerbrach, das Kind blieb beim Vater, denn er hatte einen Job und behielt die Wohnung. Jasmin landete wieder auf der Straße.

Patrick ist im Hamburger Szene-Kiez St. Pauli aufgewachsen. Seine Mutter und seine Brüder leben noch immer im Norden. Der Kontakt zur Familie ist aber abgebrochen, und das geht für Patrick auch so in Ordnung. Nach Hamburg will er nicht zurückkehren: „In mein altes Umfeld zu kommen, das wäre zu risikoreich für mich. Da gerate ich vielleicht wieder an die falschen Leute, und die Resozialisierung kann ich dann vergessen.“ Patrick ist in der Vergangenheit mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten, hat seine Haftstrafen aber abgesessen. Die Zeit im Gefängnis will er hinter sich lassen; neu anzufangen ist jedoch nicht so einfach mit diesem gesellschaftlichen Makel, ohne Geld und ohne familiären Rückhalt. Ihm hilft, dass er Jasmin an seiner Seite hat, dass beide nicht mehr auf der Straße leben müssen, und dass Patrick seine Leidenschaft für das Tätowieren professionalisieren will. 

Gezeichnet hat er schon immer. Gerne auch Graffitis. Irgendwann hat er sich dann eine Tätowiermaschine zugelegt und angefangen, seine Zeichnungen auf Körper zu stechen. Bis auf einen haben sich alle anderen Bewohner der beiden WGs ein oder mehrere Tattoos von ihm stechen lassen. Sein eigener Körper erzählt unübersehbar die bewegte Geschichte seines Lebens. Ideen und Inspiration für seine Motive holt er sich auf Youtube und bei Tattoogrößen wie Randy Engelhard und Marco Pikass. Patrick hatte schon zwei Vorstellungsgespräche bei Tattoo-Studios, ein Meister will weitere Zeichnungen von ihm sehen.

Der gebrauchte, aber gut erhaltende Kinderwagen steht schon bereit

Die Ziele für das nächste Jahr hat das Paar für sich klar: eine eigene Wohnung finden, einen Ausbildungsvertrag bei einem Tätowiermeister abschließen, Fuß fassen in den eigenen vier Wänden als Familie. Denn die beiden erwarten ein Kind, und für den Kleinen wollen sie gute Rahmenbedingungen schaffen. „Wir wollen, dass das erste Wort, dass unser Sohn sagen wird, ‚Überflieger‘ ist“, sagt Patrick und lacht. Der gebrauchte, aber gut erhaltene Kinderwagen steht schon bereit, und auch eine schöne Wohnung in Bilk haben sich die beiden schon angeschaut. Der Vermieter will sich nach seinem Urlaub entscheiden. 

Wie wichtig es ist, einen festen Wohnsitz zu haben, von dem aus man wieder eine Lebensperspektive aufbauen kann, zeigt sich auch bei ihren Mitbewohnern. Zwei von ihnen sind schon wieder ausgezogen, weil sie Wohnung und Arbeit gefunden haben. Ein Mitbewohner von Jasmin und Patrick hat gerade einen Job in der Gastronomie gefunden. Und auch für Jasmin und Patrick sieht es gerade viel besser aus als noch im letzten Winter.

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