Im Winter des Lebens

Mit dem ambulanten Pflegedienst auf Tour

Eine Mitarbeiterin der ambulanten Pflege misst Blutdruck bei einem Klienten.

Im Düsseldorfer Süden dreht Altenpflegerin Anette Hollenberg täglich ihre Runden für den ambulanten Pflegedienst. 

Der erste Sieg des Tages ist vollbracht. Anette Hollenberg hat einen Parkplatz gefunden, eine enge Bucht im Stadtteil Friedrichstadt. Sie ist Altenpflegerin und an diesem Vormittag für den ambulanten Dienst der Diakonie unterwegs. Ihr nächster Patient wartet schon. Er sei schwerkrank, aber „wacker und tapfer“, erzählt die Pflegerin, als sie aus dem Auto steigt. Seine Frau kümmere sich aufopferungsvoll um ihn, brauche aber auch Unterstützung bei der Pflege, damit er weiterhin zu Hause wohnen könne. Das sei der Wunsch vieler Menschen. „Und wir versuchen das zu ermöglichen, so lange es geht“, sagt Anette Hollenberg. Körperpflege, Kompressionen anlegen, Medikamentengabe – das und vieles mehr übernehmen die Fachkräfte der Diakonie.

„Wie geht es Ihnen?“, fragt die Pflegerin beim Betreten der Wohnung. „Ich muss ja zufrieden sein“, antwortet der hagere Mann, der auf dem Sofa im Wohnzimmer liegt. Man sieht ihm die Erschöpfung an. Den Kopf wendet er langsam, zu reden fällt ihm schwer. Er schaut auf die beiden Plüschtiere, die auf einer Rückenlehne des Sofas sitzen. Früher hatten sie ihren Platz auf der Yacht, hoch oben auf dem Mast, als das Ehepaar Kamp* noch durch die Nordsee segelte und Hafen um Hafen ansteuerte. Viele Mitbringsel erinnern in der Wohnung daran. Und auch wenn das Schiff längst verkauft ist – die Erinnerungen und Träume leben fort: „Es war eine schöne Zeit“, erinnert sich Margarete Kamp, als sie auf dem Smartphone ihres Mannes ein Foto des Bootes zeigt. „Wir waren Bootswanderer und gemächlich unterwegs.“ Daher haben sie ihre Yacht auch „Sutsche“ genannt, was auf Norddeutsch so viel wie „langsam“ und „entspannt“ bedeutet.

Aber, sagt Margarete Kamp, sie wolle noch etwas fragen: Die Haut ihres Mannes sei seit Tagen trocken und schuppig. Das muss wohl an den Medikamenten für die Chemotherapie liegen, vermutet sie. Seinen Körper habe sie schon mit Fett massiert, aber ohne Erfolg. „Probieren Sie es besser mit Feuchtigkeitscreme“, rät Anette Hollenberg. Außerdem solle ihr Mann viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Vom Sofa aus, mit leiser Stimme, wendet er sich den beiden Frauen zu. „Der Verstand sagt: Trink“, sagt er. Aber es gelinge ihm nicht so recht. Die Kraft fehle, vielleicht auch der Wille.

"Das Wohl der Menschen, die ich pflege, liegt mir am Herzen."

Anette Hollenberg, Pflegekraft


Anette Hollenberg hält dagegen, betont noch einmal, wie wichtig es sei zu trinken. Später, wenn sie wieder im Auto sitzt, wird sie sagen: „Das Wohl der Menschen, die ich pflege, liegt mir am Herzen.“ Aber sie versuche auch, innerlich Distanz zu wahren – und Hoffnung zu vermitteln, selbst wenn Krankheiten weit fortgeschritten seien. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt sie, wohlwissend, dass nicht alle Krankheiten heilbar sind. Es gelte zu akzeptieren, dass sich viele ihrer Kunden „im Winter des Lebens“ befänden. „Unsere Aufgabe ist es, ihnen in dieser Phase des Lebens so angenehm wie möglich zu machen.“

Der Beruf ist fordernd, aber auch abwechslungsreich

In den Medien werde häufig ein falsches Bild von Pflegenden gezeichnet, die Akkordarbeit unter Hochdruck leisten müssten, getrieben von einer chronischen Unterfinanzierung der Branche. Erst kürzlich habe eine Reporterin eines Nachrichtenmagazins sie bei einer Tour begleitet, erzählt die examinierte Altenpflegerin. „Die hätte am liebsten gehabt, dass ich nach jedem Hausbesuch anfange zu weinen.“ Das gehe aber an der Realität vorbei. Ihr Beruf sei zwar fordernd, aber auch abwechslungsreich, nah am Menschen, bereichernd. Und vor allem sei sie nicht mit der Stoppuhr unterwegs, sagt Anette Hollenberg, die seit rund zehn Jahren in der ambulanten Pflege bei der Diakonie arbeitet. Ihr gelingt es meist, sich so zu organisieren, dass es ihr nicht an Zeit mangelt, weder für Hilfen noch für Gespräche.

Sie stoppt das Auto. Ein paar hundert Meter weiter wartet die nächste Patientin in ihrer Wohnung. Anette Hollenberg klingelt, um ihren Besuch anzukündigen und schließt die Tür in einem der oberen Stockwerke auf. Karola Rose* liegt noch im Bett. Ihr sei kalt, sagt sie. Die Pflegerin schlägt daher vor, ihre Füße in warmem Wasser zu baden – ein Teil der Leistungen, die Beschäftige der Diakonie regelmäßig neben hauswirtschaftlichen Diensten für die ältere Dame übernehmen. Im Nachthemd geht die Seniorin ins Wohnzimmer und setzt sich aufs Sofa, während ihre Pflegerin die Medikamentendose inspiziert. „Wir übernehmen das komplette Medikamentenmanagement“, sagt Anette Hollenberg. „Wir besorgen Tabletten, kontrollieren Dosierungen und behalten Wirkungen im Blick.“


Sie selbst habe schon mehrfach Krebs gehabt, erzählt Karola Rose. Eine Niere habe sie verloren, die Krankheit aber ansonsten überwunden. Auf Pflege sei sie dennoch angewiesen, und es sei „wunderbar“, Unterstützung zu bekommen. Auch die beiläufigen Gespräche schätzt sie – über ihre Kindheit in Ostpreußen, über Bücher, die in ihrem Wohnzimmer im Regal stehen, von Zeruya Shalev über Sebastian Haffner bis zu Richard Powers.

150 Menschen versorgt die Diakonie allein im Düsseldorfer Süden

Gut eine halbe Stunde dauert der Besuch. Es ist wie ein kurzes Eintauchen in eine fremde Welt, die für Pflegerin von Besuch zu Besuch vertrauter wird. „Wir streben eine Bezugspflege an“, sagt Anette Hollenberg. Möglichst die gleichen Fachkräfte sollen Patienten demnach besuchen, wobei es immer wieder auch Wechsel gebe, je nach Tagestour. Rund 150 Patienten versorgt der ambulante Pflegedienst der Diakonie aktuell allein im Düsseldorfer Süden. Aufgaben wie Waschen, Ankleiden oder Umbetten übernehmen Pflegehelfer, für das Spritzen-Geben und die Medikamentengabe sind ausschließlich examinierte Pflegekräfte zuständig.


Elf Patienten besucht Anette Hollenberg an diesem Vormittag. Von sechs bis 14 Uhr ist sie gewöhnlich unterwegs. Und gleich steht die nächste Visite an, die letzte für heute: Elisabeth Fischbach* sitzt in der Küche ihrer Wohnung im Rollstuhl. Sie hat Wassereinlagerungen in Beinen und Füßen, den Humor aber trotz Pflegegrad 3 nicht verloren. Heute solle sie einen neuen Kompressionsverband bekommen. 


Die Pflegerin wickelt einen sogenannten Pütter-Verband, der ein Abschwellen der Füße bewirken soll. Sie befestigt ihn mit einer vierzackigen Klammer, wegen der krallenartigen Haken im Volksmund auch „Schwiegermutter“ genannt. Die verwende man in der Pflege zwar schon lange nicht mehr, sagt Anette Hollenberg, mittlerweile verwende man Tapepflaster. Da ihre Patientin aber auf der althergebrachten Methode bestehe, mache sie eine Ausnahme. 


Manchmal, erzählt Elisabeth Fischbach, gehe die Schwiegermutter auch verloren – und finde sich kaum sichtbar unter der Heizung wieder, sagt sie und lacht frei raus, wie es wahrscheinlich schon ihr ganzes Leben getan hat. Es dauert dann nicht lange, bis sich ein Gespräch über die Vorzüge von Schwiegermüttern entwickelt, während der Verband längst angelegt ist. Aber Anette Hollenberg muss sich jetzt wirklich sputen. Sie will ihr Enkelkind in der Kita abholen. Nach der Schicht ist vor der Schicht, und nicht nur heute liegen die Enden des Lebens für sie dicht beieinander.

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